„Um etwas Neues zu tun, müssen wir natürlich unsere Vergangenheit kennen, und das ist recht so. Aber wir sollten nicht an irgendetwas, das wir getan haben, festhalten: Wir sollten nur darüber nachdenken. Und wir sollten auch eine gewisse Vorstellung davon haben, was wir in Zukunft zu tun haben. Doch Zukunft ist Zukunft, und Vergangenheit ist Vergangenheit; jetzt sollten wir an etwas Neuem arbeiten. Das ist unsere Haltung, und so sollten wir in dieser Welt leben“
Shunryu Suzuki
In unserer Kultur gelten wir als professionell, wenn wir Wissende sind
In den letzten 100 Jahren hat sich unser Wissen dramatisch vervielfacht. Altes Wissen wird ständig von aktuellsten Erkenntnissen überlagert und erweitert. Das Neue entsteht so schnell, dass wir kaum noch hinterherkommen. In diesem rasanten Wandel fühlen wir uns eher als Getriebene, denn als Gestalter unseres Lebens. Und damit wir den Halt nicht verlieren, greifen wir lieber zum sicheren und vertrauten Wissen als uns auf ständige Veränderung einzulassen.
„In den Zeiten des Wandels werden die Lernenden die Welt erben, während die Belehrten sich wunderbar an eine Erde angepasst haben, die es nicht mehr gibt.“
Erich Hoffer
Wissen ist nicht mehr zuverlässig
Die Haltung eines Lernenden hingegen erfordert Offenheit und den Mut, sich einzugestehen, dass man nichts wirklich weiß. Es geht darum, offensiv und bewusst mit dem Nichtwissen umzugehen. Sich genügend Freiraum zu verschaffen, um alte Denk- und Verhaltensmuster in Frage zu stellen. Der erste Schritt dazu ist, das Nichtwissen wertzuschätzen. Die Chance zu sehen, etwas anders zu machen. Und die selbsterfüllte Prophezeiung „Das geht nicht“ über Bord zu werfen. Immer wieder im Anfängergeist zu verweilen. Um Neues zu erfahren.
Ein Beispiel der Firma Apple
Das Know-how der Firma Apple dürfte hoch genug sein, um für die Entwicklung von neuen Apps klare Anforderungen und Lösungsansätze an Programmierer zu geben. Allerdings funktioniert das anders. Das Unternehmen weiß nicht, welche Apps sich am Ende verkaufen werden. Apple hat Rahmenbedingungen geschaffen, die es externen Programmierern ermöglichen, eigene Apps zu entwickeln. Und zwar ohne zu wissen, welches Produkt am Ende dabei herauskommt. Gewinner sind dann die Apps, die viel gekauft werden. Der Verlust einer ´falschen´ App ist vernachlässigbar klein. Damit verdient Apple an Apps, von denen sie vorher nichts wussten.
Diese Haltung des Nichtwissens, um sich neuen Entwicklungen zu öffnen, finden wir vor allem im Anfängergeist.
Der Anfängergeist
Der Begriff stammt aus der buddhistischen Richtung des Zen. Man nennt ihn auch Zen-Geist. Der Anfängergeist ist ein offener Geist, der sowohl Zweifel als auch Zuversicht einschließt. Im Wesentlichen geht es darum, die Dinge immer frisch und neu zu sehen, wie ein Anfänger mit offenen Augen durch die Welt zu gehen.
„Wenn du also etwas lernen willst, wenn du etwas einüben willst, wenn du weiterkommen, dich entwickeln willst, dann sei nicht wie eine volle Tasse, sondern wie eine leere Tasse, voller Erwartung dessen, was da kommt, und dann nimm den Tee auf – vorurteilsfrei, lass den Geschmack sich frei entfalten und achte auf diesen. Jeder Tee ist anders, es gibt so viele Geschmacksrichtungen. Sei offen für das Neue!“
Zen-Priester Bernie Glassman Roshi
Dieser neugierige Anfängergeist hilft uns sowohl in der Meditation als auch im Dialog. Besonders, wenn es darum geht, sich etwas Neuem zu widmen.
Der Anfängergeist in der Meditation: Nachdem man einige Zeit meditiert hat, meint man zu wissen, was jetzt passieren wird – Entspannung, eine besondere Erkenntnis oder eine tolle Imagination, die sich einstellt. Allerdings verlieren wir dann den Anfängergeist. Jede Meditation wie die erste zu sehen, hilft uns: Mit kindlicher Neugier eröffnen sich uns neue Perspektiven und Möglichkeiten. Sie macht den Geist flexibel und lässt uns mehr Wege offen.
Anfängergeist im Dialog: Eine gesunde Portion Neugierde, Achtsamkeit und Bescheidenheit ermöglicht es uns, Fragen zu stellen, die uns wirklich bewegen. Dann können wir gemeinsam mit unseren Gesprächspartnern erkunden und entwickeln, was vorher noch nicht da war und alleine nicht möglich gewesen wäre. Du kannst bei deinen Mitmenschen neue Aspekte z. B. Gemeinsamkeiten bemerken, die du vorher noch nicht wahrgenommen hast, wenn du ihnen immer wieder von Null beginnend völlig leer gegenübertrittst. Lasse deine Erfahrungen, Meinungen, Beurteilungen oder Gewohnheiten einfach außen vor.
Wie das geht?
Indem wir weniger dort verweilen, wo sich unsere Vorurteile und unser Wissen befinden – und zwar im Kopf. Wenn wir uns z. B. durch eine bewusste Bauchatmung auf den Körper konzentrieren, lösen wir uns ein Stück weit vom Kopfdenken.
Unser wichtigster Atemmuskel ist das Zwerchfell. Beim Atmen bemerkst du die Leistung dieses Muskels daran, dass sich die Bauchdecke hebt bzw. senkt. Während sich der Bauch nach vorne wölbt, entsteht im Brustraum ein Sog und die Lungen können sich entfalten. Auch das Herz ´freut´ sich. Es bewegt sich dabei nach unten und wird entlastet. Beim Ausatmen entspannt sich das Zwerchfell und die Luft kann aus den Lungen entweichen.
Deine Anleitung zur tiefen Bauchatmung
- Sitze bequem und aufrecht. Stelle die Füße auf den Boden.
Schließe deine Augen. - Nimm nun deine Hände auf dem Bauch zusammen. Die Mittelfinger berühren sich über deinem Bauchnabel.
- Atme bewusst aus, so dass sich dein Bauch einzieht.
- Atme dann langsam ein und bemerke, wie sich dein Bauch hebt.
- Atme nun langsam wieder aus. Die Bauchdecke senkt sich erneut.
- Wiederhole diese Atemübung, solange es dir gut tut.
- Am Ende öffne deine Augen.
In der Regel reichen schon zwei Minuten, um dich aus dem Kopf zu holen und ihn frei zu haben für neue Eindrücke.
Herzliche Grüße
Holger 🙂
P.S.:
„Im Geist des Anfängers gibt es viele Möglichkeiten. Im Geist des Experten gibt es nur noch wenige Möglichkeiten.“
Shunryu Suzuki