Das echte Zuhören

Ein Beispiel aus dem Märchen Momo von Michael Ende:

„Was die kleine Momo konnte wie kein anderer, das war zuhören. […] Momo konnte so zuhören, dass dummen Leuten plötzlich sehr gescheite Gedanken kamen. […] Sie saß nur da und hörte einfach zu, mit aller Aufmerksamkeit und aller Anteilnahme. Dabei schaute sie den anderen mit ihren großen, dunklen Augen an und der Betreffende fühlte, wie in ihm Gedanken auftauchten, von denen er nie gedacht hatte, dass sie in ihm steckten. Sie konnte so zuhören, dass ratlose oder unentschlossene Leute auf einmal ganz genau wussten, was sie tun wollten. […] Oder dass Unglückliche und Bedrückte zuversichtlich und froh wurden. […] So konnte Momo zuhören.“

Ich bin immer sehr bewegt, wenn ich dieses Zitat lese.

Momo ist für mich ein wunderbares Beispiel für klare Selbstpräsenz und wertschätzende Begegnungskraft. Sie ist einfach da und lauscht, ohne zu bewerten oder zu drängen. Sie ist ganz in der Gedanken- und Gefühlswelt ihres Gegenübers.

Im Businesskontext geht das allerdings oft unter. Dort erlebe ich viele Diskussionen inklusive Schlagabtausch:

Ausholen zum nächsten Schlag statt zuzuhören

Vielleicht kennst du das auch aus Gesprächen? Noch während jemand anderes redet, bereitest du dich körperlich, gefühlsmäßig und mental auf dessen Entgegnung vor, bewertest seine Worte, beziehst Gegenposition oder erklärst dich einverstanden, formulierst innerlich schon deine Antwort.

„Es ist fast wie ein Pingpong-Spiel, bei dem Leute Meinungen vor- und zurückschlagen und dessen Ziel es ist, zu gewinnen oder Punkte für sich zu sammeln. […] Der Kernpunkt ist das Gewinnen des Spiels. Beim Dialog ist das jedoch nicht der Fall“, schreibt David Bohm in seinem Buch Dialog.

Zuhören im Dialog hat wenig mit Diskussion zu tun. Diskussion hat dieselbe Wurzel wie Perkussion (Stoß, Schlag) und Concussion (Erschütterung). Es bedeutet zerschlagen, zerteilen, zerlegen. In diesem Modus fällt das Zuhören schwer.

Schenke dein Gehör

„Die wichtigste Führungsmethode ist das Zuhören, aktives Zuhören, und dazu braucht man auch Gelassenheit, innere Ruhe.“

Helmut Sihler

Die Kunst des Zuhörens ist es, aus einer inneren Stille heraus das Gesagte auf sich wirken zu lassen. Dem Gegenüber so wertfrei wie möglich zu lauschen. Es ist ein empathisches Zuwenden, eine einladende Haltung, die den anderen auffordert, seine eigene Welt vertrauensvoll sichtbar zu machen.

Die Voraussetzung dafür ist, sich selbst zuzuhören. Die eigenen Gedanken und Vorurteile wahrzunehmen und zurückzustellen. Dem inneren Dialog sein Ohr zu leihen. Ihn für einen Moment anzuhalten.

Zuhören in der Meditation: Bemerke, wie du innerlich argumentierst, formulierst, zustimmst oder ablehnst. Sei hellhörig gegenüber deinem Atem und betrachte deine begleitenden Gefühle plus Körperempfindungen. Es geht darum, deine eigenen, reflexartigen Gedanken (Vorurteile) wahrzunehmen, dir selbst aufmerksam zuzuhören und zu reflektieren. Dann bekommst du einen besseren Zugang zu deiner inneren Stimme, deiner Intuition.

Die Zeit für Reflexion bietet dir die Möglichkeit, nach innen zu schauen. Und wenn du das tust, ist die Wahrscheinlichkeit höher, dass du deine Intuition deutlicher wahrnehmen kannst. Du kannst sie dann noch einmal prüfen, Schlüsse ziehen und somit deine Intuitionskompetenz weiter verbessern.

Lies dazu auch meinen Artikel: Reflexion als Intuitionstraining – Widerspruch oder Nutzen?

Zuhören im Dialog:

Der Dialog profitiert enorm durch aktives und empathisches Zuhören, da hier Vertrauen und Offenheit auf beiden Seiten gestärkt werden. Die Teilnehmer des Dialogs können sich auf Wesentliches konzentrieren, auf das Gemeinsame – ohne befürchten zu müssen, Vorverurteilungen zu unterliegen. Empathisches Zuhören bedeutet, zwischen den Zeilen zu lesen. Du stellst als Zuhörer vorgefertigte Gedankengänge sowie Denkmuster zurück und versuchst, dem Gehörten einen neuen Sinn zu geben, ohne deinen Blick für deine Werte zu verlieren. Diese Art des Zuhörens ermöglicht dir einen größeren Blick-, Hör- und Spürwinkel für komplexe Zusammenhänge. So kannst du quer denken und vielfältige, neue Perspektiven erkennen. Gemeinsame Ideen entstehen.

Die Kunst ist es nun, beide Perspektiven im Gespräch einzunehmen. Einerseits sich selbst zuzuhören, zu beobachten und andererseits deinem Gegenüber dein Gehör zu schenken. Höre aktiv und empathisch zu, so dass die oder der Sprechende sich dabei selbst entdecken und sich beim Einordnen des Gehörten selbst beobachten kann. Lausche mit dem Herzen, so wie Momo im Märchen von Michael Ende.

„Wenn ich mit dem Herzen höre, werde ich den Sinn entdecken. Wie das Auge das Licht wahrnimmt und das Ohr den Klang, ist das Herz das Organ für den Sinn.“

David Steindl-Rast

Mehr als nur Blickkontakt

Diese Art des empathischen Zuhörens geht über das Übliche – sich zuwenden, den Blickkontakt herstellen und halten, nicht unterbrechen – hinaus. Entscheidend ist deine Haltung. Wenn ich etwas Wertvolles vom Gegenüber erwarte, lausche ich neu-gierig. Es ist ein mitfühlendes, aktives Zuhören – eines mit zugänglichem Herzen – sodass der andere Mensch Dinge aussprechen kann, die er sonst zurückgehalten hätte, wenn er sich nicht verstanden, gut aufgehoben und abgeholt fühlt.

Deine 7 Prinzipien des echten Zuhörens

  1. Höre mit aufnahmebereitem Herzen – ohne Urteil und Bewertung.
  1. Nimm deinen Gesprächspartner/deine -partnerin aufmerksam wahr, indem du dir innerlich die Fragen stellst: Wie geht es meinem Gegenüber gerade? Welche Gefühle schwingen in seinen Worten mit? Was sind seine Bedürfnisse? Worum geht es ihm wirklich? Wenn du die Fragen aus deiner Wahrnehmung nicht klar beantworten kannst, frage nach.
  1. Halte innerlich still. Entgegne nicht immer direkt und sofort auf das, was du hörst. Ein Innehalten führt oft dazu, dass dein Gesprächspartner/deine -partnerin die Stille bricht, mehr erzählt und du auch mehr erfährst.
  1. Nimm ernst, was der andere sagt. Es geht um ihn, ihm ist es ernst. Sei der Inhalt noch so abwegig.
  1. Spiegele die von dir wahrgenommenen Gefühle und Bedürfnisse des anderen. Indem du z. B. Teile des Gesagten wiederholst oder beobachtete und gespürte Gefühle in Worte fasst: „Du bist also sauer, weil…?“
  1. Frage nach, wenn dir etwas unklar ist und fasse das Gesagte zusammen. Lasse dabei ruhig Fehlinterpretationen zu und gestatte dir, auch mal falsch zu liegen. Dein Gegenüber wird dich schon aufklären.
  1. Frage deinen Gesprächspartner/deine -partnerin, ob er oder sie eine Handlungsidee oder deine eigene Perspektive hören möchte – ob das gerade passt.

Mir geht es oft so: Wenn ich im Gespräch mit einem guten Zuhörer sitze, kann ich Dinge aussprechen, die ich vorher selber noch nicht gewusst habe. Mir werden Dinge und Zusammenhänge klar, „nur“ weil mir jemand wirklich von Herzen zuhört. So entstehen oft die wichtigsten Erkenntnisse und Lösungen für Probleme – einfach durchs echte Zuhören.

Lauschende Grüße

Holger HagenHolger 🙂

Kennst du das Gefühl, wenn dir jemand aktiv und empathisch zuhört? Dann teile es gerne mit mir im Kommentar. Ich bin gespannt.

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